"Meine Freiheit, Deine Freiheit" ein Film über zwei Frauen und ihr Leben in Haft

Am 22. Januar erscheint Diana Näckes Film "Meine Freiheit, Deine Freiheit" nun auch auf DVD. Der Film, der bereits im Mai 2012 in die deutschen Kinos kam und am 14. Februar auf der Berlinale gezeigt wird, behandelt den schwierigen Weg der zwei Inhaftierten Kübra und Salema in die Freiheit. Die Regisseurin Diana Näcke hat die beiden Frauen drei Jahre lang begleitet. Auch neben dem Dreh ihres Films engagiert sich die Regisseurin für Frauen in Haft. Für die BAG-S erzählt die Wahlberlinerin ihre Geschichte mit den inhaftierten Frauen.

 

Ein Plädoyer für die Schönheit

Ich bin Filmemacherin und habe drei Jahre in der JVA Berlin Lichtenberg mit zwei gefangenen Frauen und deren Gefängnisleiter gedreht. So ist der Kinofilm MEINE FREIHEIT, DEINE FREIHEIT entstanden. Nach der Erfahrung dieser zum Teil sehr schmerzhaften Filmarbeit wollte ich etwas an diese Frauen zurückgeben.

So wie ich diesen Frauen stellvertretend mit meinem Film ein Gesicht gegeben habe, verschwinden so viele Gesichter innerhalb des Knastes zu einem großen Wust aus Trauer, Wut und Aggression, der sich letztendlich am schlimmsten gegen die Frauen selbst richtet. Es braucht nicht viel, um abzustürzen. Und weil ich an ihrer Stelle hätte sein können, arbeite ich mit diesen Frauen künstlerisch und ohne Öffentlichkeit weiter. Nicht für jedes Kind ist es normal, Liebe und Sicherheit in den ersten Lebensjahren geschenkt zu bekommen. Wenn ich das schreibe, geht es mir nicht darum, Straftaten zu rechtfertigen, es geht vielmehr darum, Verantwortlichkeiten auszuloten. Mehr als 60 Prozent dieser Frauen haben Missbrauchserfahrungen, wurden in ihrer Kindheit schwer misshandelt. Nach meinem Film wollte ich diesen Frauen einen geschützten Raum bieten, in dem sie eine Chance hatten, schön zu sein und sich sicher zu fühlen.

Zusammen mit der Fotografin Marlene Fulde und der Maskenbildnerin Jessica Krause gehe ich seit fünf Jahren, immer kurz vor Weihnachten, in den Knast, um die Frauen zu fotografieren. Einer der eindrucksvollsten Momente war, als eine der Frauen ihr Foto sah und zu weinen begann. Sie hatte sich noch nie zuvor so schön gesehen. Was das bei einer Frau bedeutet, kann man nicht in Worte fassen. Auf diese Art und Weise begreifen zu müssen, wie es um ihr Selbstbild steht, hat mir das Herz gebrochen. Die Schönheit von Frauen spiegeln zu dürfen, die sich selbst nicht schön finden, sich sogar verachten, ist ein großes Privileg. Und dieser Text ist ein Plädoyer dafür, dass simple Dinge wie Schönheit und Klarheit in einem geschützten Raum, die notwendige Schubkraft haben, Dinge langsam ins Rollen zu bringen.

Im Zuge dieser Foto-Arbeit sprach mich eine Beamtin an, ob ich mir vorstellen könnte, aktiv mit den Frauen zu arbeiten, die Kinder haben. Sie schlug vor, Hörspiele mit ihnen zu entwickeln. Einige von ihnen hatten aufgrund ihrer Drogensucht den Kontakt zu ihren Kindern abgebrochen oder ihre Familien hatten befunden, dass es für das Kind besser wäre, vorerst keinen Kontakt zu haben. In den meisten Fällen sprachen die Frauen mit niemandem darüber. Und wenn, konnte die Emotion in den seltensten Fällen aufgefangen werden. Auch Psychologen beißen sich daran oftmals die Zähne aus. Wie können sie das auch leisten, wenn 120 Frauen - wie im Fall der JVA Berlin Lichtenberg - auf zwei Psychologinnen verteilt werden?

Für dieses Hörspiel-Projekt habe ich sechs Wochenenden in der JVA Berlin Lichtenberg mit sechs drogenabhängigen Frauen und in der JVA Berlin Pankow mit 9 Langstraferinnen gearbeitet. Für ein Wochenende kam die renommierten Berliner Musikerin Masha Qrella dazu, die mit den Frauen musikalische Stimmungen und Sounds speziell für ihre ganz persönliche Geschichte entwickelte, stellenweise wurden ihre Geschichten sogar live vertont.

Durch die Erfahrung während der Dreharbeiten zu meinem Film wusste ich, dass ich diese drogenabhängigen Frauen nicht halten kann, dass sie jeden Moment sterben könnten und auch ich ihre aufgebrochenen Emotionen nicht auffangen werde. Und genau das habe ich ihnen von Anfang an gesagt. Das größte Geschenk, was man einem Menschen machen kann, ist meiner Ansicht nach Klarheit. Das war unserer einzige Abmachung, Klarheit und die Möglichkeit jederzeit abbrechen und gehen zu können. Aber egal wie oft sie geweint haben, nicht erschienen sind, Schmerzen hatten, wir hatten ein Ziel: Ein Hörspiel, in dem sie sich am Ende selbst spiegeln konnten. Was mir zu diesem Zeitpunkt allerdings nicht so klar war, dass die Kinder dieser Frauen die Schlüssel zu ihrem Gewissen, zu ihrem ganz persönlichen Schuldbegriff, ja sogar zur Straftat und zu den schwarzen Flecken ihrer eigenen Kindheit waren.

Diese Hörspiele haben wir in Einzelterminen entwickelt, als Weihnachtsgeschenke für ihre Kinder. Begonnen haben wir in den meisten Fällen in einem schwarzen Loch. Als hätte der Knast und die Drogensucht jede Art von Erinnerung verschluckt. Wie etwa im Fall von Frau B., die ihrem zwölfjährigen Sohn, den sie seit einem Jahr nicht mehr gesehen hatte und der zu diesem Zeitpunkt in einem Heim lebte, eine persönliche kleine Geschichte schreiben wollte.

Sich zu erinnern war in ihrem Fall von einer massiven Angst besetzt, auch von der Angst, dass das Kind dieses Geschenk ablehnen könnte. Also begann ich, Frau B. nach kleinen Begebenheiten zu fragen, die sie mit ihrem Kind erlebt hatte, um Stoff für eine kleine Geschichte zu finden, die ihr half sich zu erinnern und die wir als fiktiv mit wahren Elementen festlegten, weil die pure Wahrheit anfangs nicht zu ertragen gewesen wäre. Ich fragte nach Streichen, witzigen Erlebnissen und kam letztendlich bei einer Tiefe an, die mich am Ende oftmals selbst an meine emotionalen Grenzen brachte. Doch anfangs stieß ich erst einmal nur auf dieses immens schwarze Loch. In Frau B.'s Erinnerung war ihr Sohn immer ein braves liebes Kind gewesen. Es war ihr keine greifbare Geschichte zu entlocken, sie erinnerte sich nicht. Also begann ich ihr von lustigen Geschichten zu erzählen, die mir andere Frauen über ihre Kinder berichtet hatten. Wir schrieben alles auf, was Frau B. nach und nach aus dem Nebel fischte, jede noch so winzige Kleinigkeit. Zuerst die Augen- und Haarfarbe des Kindes, das abstehende Knickohr, durch das die Sonne leuchtete. Und schließlich wie es ihrer Ansicht nach zu diesem Knickohr kam. Es waren zunächst die Geschichten als ihr Sohn noch ein Baby war, die sich den Weg nach draußen bahnten, nur winzige Details. Farben, Gerüche. Bis es schließlich Stück für Stück aus ihr herausbrach. Frau B. erzählte und ich schrieb, fragte nach und schrieb. Frau B. lachte und weinte, ohne dass sie es zu merken schien. Es waren Erleichterungstränen. Als hätte sich ein winziges Loch in der Staumauer gebildet, rannen die Tränen stumm die Wangen hinunter, während sie mir diese kleinen winzigen Details beschrieb, über die die Erinnerung zurückkam. Stellenweise waren es schreckliche Details, die für Frau B. eine Normalität hatten, die mich biografisch schon längst zu Fall gebracht hätten. Details, die deutlich machten, was sie durchgemacht haben musste, dass sie keinen anderen Ausweg mehr sah, als sich in eine Drogenwelt zu flüchten. Und dazwischen so viel Liebe für ihr Kind und die Überraschung, wie lange sie diese Kraft aufgebracht hatte, für ihren Sohn zu kämpfen und da zu sein. Die permanente Präsenz des Todes, der ihren kleinen Sohn schon früh erschüttert haben muss und sie selbst dazu brachte, abzuspalten.

Die Schreibhemmung, die bei ersten künstlerischen Gehversuchen auftritt, habe ich versucht den Frauen zu nehmen, in dem ich mich zu ihrem Werkzeug gemacht habe, sie mich wie ein Diktiergerät benutzen konnten, das nur durch meine Präsenz und kleine Anstöße, eine so berührende unverschnörkelte Poesie aus den Frauen herauslockte, zu der ich selbst nicht in der Lage gewesen wäre. Der zunehmende Stolz auf dieses, vor ihnen wachsende Stück Schönheit, das aus ihren Lebensausschnitten bestand und die Vorfreude, es mit einer professionellen Musikerin vertonen zu können, trieb diese Frauen genauso an wie das Gefühl, etwas ganz Persönliches für ihr Kind zu schaffen. Das Hörspiel zu schneiden und zu mischen, um dadurch ein Stück ihrer eigene Seele wieder zu finden, beflügelte die Frauen und schuf eine Atmosphäre, in der es in Ordnung war zu weinen und zu trauern. Weil wir uns in dieser kleinen Welt kurz darauf kaputt lachen konnten - über die humorvollen Wendungen, die diese kleinen Geschichten oftmals nahmen. Das emotionale Aufbrechen bekam etwas Selbstverständliches, das wie nebenbei passierte. Wir trennten uns jedes Mal glücklich, ein bisschen wie im Rausch.

Ein Hörspiel aus dem Nichts zu erschaffen, gleicht dem Abtauchen in eine Phantasiewelt. So ein bisschen wie in der "Unendlichen Geschichte", als das Märchenreich im Nichts zu versinken droht und man nur mit der eigenen Phantasie ein kleines Universum aus realen Bildern erschaffen kann, die man nur neu anordnen muss. Dabei spielt auch die Musik eine wichtige Rolle.

Eine Musikerin wie Masha Qrella ist aufgrund ihrer Skills und großen Emotionalität in der Lage, sich auf Frauen wie Frau B. einzustellen, sie zu erspüren und sich selbst wie ein Instrument  benutzen zu lassen. Zum einen, um Gefühle zu übersetzen, aber auch um die Geschichte musikalisch mit Motiven und Charakterisierungen zu unterstützen. Alle Frauen - ohne Ausnahme - schließen dann die Augen und werden selbst zur Musik. Die Musik wird zu einem fliegenden Teppich, der ihre Emotionen an einen anderen Ort trägt, wo sie besser zu ertragen sind. Und selbst auf die Gefahr hin, dass das jetzt pathetisch klingt: Die Musik zu ihrer eigenen Geschichte streichelt ihre Seele genau da, wo es am meisten weh tut. Nach den ersten Sitzungen hatte Frau B. - nach mehr als einem Jahr Kontaktstille und noch vor Ende der Arbeit an ihrem Hörspiel - ihrem Sohn einen langen Brief geschrieben. Als ihr Sohn ihr daraufhin antwortete und sein Brief deutlich machte, wie sehr er seine Mutter vermisste, gewann Frau B. mit jedem Treffen eine Haltung und eine Schönheit zurück, die mich bis heute umweht.

Es ist die Angst vor dem eigene Versagen, vor sich selbst, die Angst vor Ablehnung und das große Schuldgefühl, warum diesen Frauen der erste Schritt so schwer fällt und warum manchmal so viel Zeit vergeht, bis sie aus ihrem Eisschlaf erwachen. Auch wenn es noch ein langer Weg für Frau B. und ihren Sohn sein wird und es ungewiss ist, ob Frau B. es schaffen wird, alle Auflagen zu erfüllen, um ihren Sohn zurück zu bekommen, war es ein Glück, sie auf ihrem Weg ein Stück begleiten zu dürfen. 

 

Diana Näcke, geboren 1974 in Schlema (Sachsen), studierte von1992 bis 1998 Journalistik und Theaterwissenschaft an der Universität Leipzig und schloss mit einem Journalistik-Diplom ab. Sie arbeitete als freie Autorin und Übersetzerin u.a. für die Frankfurter Rundschau, als Redakteurin, Autorin und Journalistin für die Internationalen Filmfestspiele Berlin und Cine Plus. Seit 2008 freie künstlerische Mitarbeit an der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz (Berlin), seit 2004 künstlerische Mitarbeit am Volksbühnen-Theaterprojekt „Rollende Road Schau“, außerdem als Performerin beim Theaterprojekt „Utopia Stock Exchange“ im HAU1 (Berlin). Erste eigene Filmregie bei dem Dokumentarfilm Josephine Baker in Schwedt (2006) 

Diana Näcke leitete außerdem Videokurse für strafgefangene Frauen an der JVA Lichtenberg in Berlin, für Londoner Jugendliche (im Auftrag des Ealing Media College in London, Embrace Cooperation, Genuin e.V.), für Jugendliche ohne Schulabschluss aus Berlin Hellersdorf (im Auftrag der AMM-Gruppe Berlin und Potsdam) und für Jugendliche mit arabischem und türkischem Migrationshintergrund (Fusion – Intercultural Projects e.V.) in Berlin Neukölln. MEINE FREIHEIT, DEINE FREIHEIT ist ihr erster Kinodokumentarfilm. 

Berlinale: Sektion German Cinema, 14. Februar 2013, 11.30 Uhr, CinemaxX 1 am Potsdamer Platz (Verkauf online www.berlinale.de oder bei den bekannten Berlinale-Vorverkaufstellen)

Fotos: www.meine-freiheit-deine-freiheit.de