Vollzugsöffnende Maßnahmen in Deutschland

Eine Autor:innengruppe um Prof. Dr. Frieder Dünkel hat eine umfassende Studie zur Entwicklung der vollzugsöffnenden Maßnahmen in Deutschland vorgelegt. Wie entwickelt sich der Anteil der inhaftierten Personen im offenen Vollzug? Welche regionalen Unterschiede gibt es? Wie hoch sind die Missbrauchsraten bei Lockerungen?

Frieder Dünkel, Stefan Harrendorf, Bernd Geng, Ineke Pruin, Paul Beresnatzki und Judith Treig haben diese Fragen untersucht. In einem frei zugänglichen Beitrag für die Monatszeitschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform beschreiben sie:

1. die Bedeutung von vollzugsöffnenden Maßnahmen (offener Vollzug, Freigänge, Ausgänge) für die Entlassungsvorbereitung und die Rückfallvermeidung,

2. die unterschiedlichen rechtlichen Grundlagen für den Erwachsenen- und Jugendstrafvollzug in den einzelnen Bundesländern,

3. die Entwicklung der Maßnahmen anhand umfangreicher Statistiken vorgestellt.

 

Die Autor:innen kommen u. a. zu folgenden Ergebnissen:

Der Anteil von Strafgefangenen im offenen Erwachsenenstrafvollzug ist in Deutschland insgesamt gesunken. Während im Jahr 1996 20,8 % im offenen Vollzug untergebracht waren, waren dies 2022 nur noch 14,7 %. Die einzelnen Bundesländer weisen hier erhebliche Unterschiede auf: Bspw. ist in Nordrhein-Westfalen der Anteil relativ gleich geblieben und in Brandenburg gegenläufig angestiegen.

Aktuell gibt es erhebliche regionale Unterschiede: Während in Berlin und Nordrhein-Westfalen knapp 30 % im offenen Vollzug untergebracht sind, sind dies in Bayern, Hessen oder Sachsen nur 4-5 %.

Die Autor:innen betonen die Bedeutung von Lockerungen für ein überleitungsorientierten Vollzug und sehen hier insgesamt „unausgeschöpfte Potenziale“. Den Grund für diese Entwicklung sehen sie nicht in fehlenden gesetzlichen Regelungen. Vielmehr:

„Es fehlt in einigen Bundesländern schlichtweg der politische Wille, den Vollzug konsequent überleitungsorientiert zu gestalten. Für Justizminister*innen ist ein »ruhiger« Strafvollzug ohne besondere Vorkommnisse notwendige, wenngleich nicht immer hinreichende Garantie »politisch« zu überleben. Erst wenn es gelingt, den Vollzug aus dem potentiellen »Skandalisierungskreislauf« der Medien herauszubringen und wenn mit markigen Parolen eines harten Strafvollzugs nicht (mehr) erfolgreich Wahlkampf betrieben werden kann, wird sich ein Wettbewerb der »guten Praxismodelle« entwickeln können, der den nationalen (BVerfG) und internationalen Vorgaben einer »wissensbasierten Kriminalpolitik« Rechnung trägt. Wenig zufriedenstellend ist die Anfälligkeit der Lockerungspraxis für politische Zeitströmungen. Mit dem Wechsel zu SPD-geführten Regierungen oder Regierungsbeteiligungen von Bündnis 90/Die Grünen oder der Linkspartei (vgl. z.?B. Berlin, Brandenburg und Mecklenburg-Vorpommern) steigen regelmäßig die Lockerungszahlen, unter CDU-Regierungen stagnieren die Zahlen oder sind – wie zeitweilig in Hessen oder Hamburg erkennbar – stark rückläufig (gewesen).“

Quelle: Dünkel, Frieder, Harrendorf, Stefan, Geng, Bernd, Pruin, Ineke, Beresnatzki, Paul and Treig, Judith (2024): "Vollzugsöffnende Maßnahmen und Entlassungsvorbereitung – Gesetzgebung und Praxis in den Bundesländern". In: Monatsschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform, Jg. 107, Heft Nr.. 1, S. 11-35.